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Etwas wehmütig verließ ich Auroville. Nachdem ich eine Woche in der westlichen Kommune gelebt hatte und einige sehr interessante Menschen kennengelernt hatte, hätte ich fast noch etwas länger bleiben können. Doch da gab es noch mehr in Indien, das darauf wartete entdeckt zu werden. Auf dem Weg Richtung Süden verließ ich die Ostküste und steuerte das im Landesinneren liegende Madurai an. Für die nächsten Stunden bestimmten wieder freundliche braune Gesichter und verrückte Verkehrsteilnehmer jeglicher Fahrzeugklassen das Straßenbild. Mittlerweile hatte ich mich komplett an den Straßenwahnsinn gewöhnt und wich mit einer Mischung aus Routine und Langeweile den nächsten Falschfahrer auf der Autobahn aus.
In Madurai drängte ich mich auf den letzten Metern zu meinem Zielort durch einige sehr enge Straßen. Im Internet hatte ich mir ein zentrales, mittelmäßig bewertetes jedoch bezahlbares Hotel herausgesucht. Auf der unglaublich schmalen Straße, wo sich angeblich das Hotel befinden sollte, suchte ich vergeblich nach der Herberge und fragte mich zugleich, wo ich hier denn bitteschön mein Auto abstellen sollte. So kam Plan B der bevorstehenden Übernachtung zum Einsatz und ich fuhr den Parkplatz des berühmten Tempels von Madurai mit einfach zu merkenden Namen an (Sri Menakshi Sundareshwarar). Ich fragte den Parkplatzwächter, ob ich hier auch über Nacht bleiben könnte, was ihm keineswegs merkwürdig vorkam und er sich mehr um mein „Gepäck“ auf meinem Dach sorgte. Mittels Zeichensprache machte ich ihn deutlich, dass ich mein Ersatzreifen auf dem Dach mit meinen Fäusten verteidigen würde. Das beruhigte ihn und für umgerechnet 60 Cent durfte ich parken und im Auto nächtigen.
Der Sri Menakshi Sundareshwarar Tempel gehört zu den größten Tempelkomplexen Indiens. Teile des Tempels sind bereits über 400 Jahre alt. Der sogenannte Gopura ist für südindische Tempel typisch und ist somit auch Bestandteil des Tempelkomplexes in Madurai. Gopura ist der Tempelturm und ist mit unzähligen, aus Stuck geformten Göttern und Dämonen verziert. Der Tempelkomplex weist ganze zwölf solcher Türme auf und die bunt bemalten Figuren der Tempeltürme scheinen alle eine ganz eigene Geschichte zu erzählen. Insgesamt finden sich 33.000 Götterdarstellungen im Tempel. Sollte man alle dahinterstehende Bedeutungen und Geschichten studieren, so bin ich mir sicher würde ein Leben dafür nicht ausreichen.
Um den Tempel zu betreten, musste ich wie alle anderen Besucher die Schuhe abgeben. Nackten Fußes schlenderte ich durch die heiligen Hallen. Selbst nachdem ich nun schon unzählige hinduistische Tempel besucht hatte, waren mir diese Religion und deren Gotteshäuser fremd, geheimnisvoll und bisweilen sogar kitschig. Was mir jedoch überhaupt nicht gefällt ist die Exklusivität der Hindus bestimmte Tempel bzw. Tempelbereiche zu betreten. Goldene Tempel stehen nur Hindus offen und selbst religions- und kulturinteressierte Nicht-Hindus kommen nur in großen Ausnahmefällen hinein. Hier werden im Gotteshaus die Menschen getrennt, die doch angeblich vor Gott alle gleich sein sollen. Der Tempel zieht viele Pilger aus dem ganzen Land an und in zahlreichen Schreinen werden den ganzen Tag über verschiedene Zeremonien (sogenannte „Pujas“) abgehalten, was dem Tempelkomplex eine mystische Atmosphäre verleiht. Auch wer bereits von den vielen Tempeln Indiens genug hat, kann sich hier meiner Meinung nach noch Begeistern, wenngleich die Meditationshalle nicht der beste Ort für ruhige Momente ist, da sich hier der Tempelhausmeister breit gemacht hat und ständig schweißt, hämmert und bohrt.
Die Stadt Madurai selbst hat einen leicht verschlafenen und entspannten Charakter. Wahrscheinlich habe ich mich auch einfach schon an den täglichen Lärm indischer Städte gewöhnt und ein Indien-Neuling möchte mir hier nicht recht geben. Auf den Basaren der Stadt konnte ich bequem flanieren ohne ständig angesprochen zu werden und zu loben ist auch die Anfang des Jahres gestartete Initiative der Stadt „plastikfrei“ zu werden. Zwar befindet sich hier Madurai sichtbar auf einem langen Weg, jedoch habe ich selten so viele Mülleimer gesehen und rund um den Tempel war es auch ausgesprochen sauber. Je weiter ich mich jedoch vom Tempel entfernte, verblaste auch zunehmend das ambitionierte Vorhaben und ich fragte mich, ob die Kampagne nicht nur aus Prestigegründen gestartet wurde und sich in ein paar Jahren niemand mehr dran erinnern mag. Ich drücke die Daumen. Währenddessen setze sich immer mehr die Müdigkeit zu und ich steuerte mein Parkplatzcamp an. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich schon seit knapp zwei Wochen mit offenen Schiebefenster nachts ohne lästigen Mückenlärm (und die daraus folgenden Stichen) schlafen, denn ich hatte mir ein Moskitonetz eingebaut. Voraussetzung für einen erholsamen Schlaf ist jedoch dabei, dass sich vorher keine Mücke durch eine offene Tür ins Auto geschlichen hat. Dies ist mir jedoch beim Zähneputzen passiert, nur mit dem Unterschied das sich nicht eine, sondern ganze 30 dieser Biester in das Fahrzeuginnere und gleichzeitig meiner Schlafstube gemogelt hatten. Mehr als eine halbe Stunde hat es mich gebraucht das Auto zur mückenfreien Zone zu bekommen, was von außen bestimmt mit allen größten Schmunzeln beobachtet werden musste. Ständig sprang ich von vorn und nach hinten, in einer Hand die Lampe zur gezielten Erfassung des Opfers zum schnellen Tod an der Fensterscheibe.
Zum letzten Mal sollte ich auf dieser Reise eine lange Strecke nach Süden fahren. In Kanyakumari endet die Straße, wo der Golf von Bengalen, das Arabische Meer und der Indische Ozean aufeinandertreffen. So eine geballte Maße an Energie entlud sich gleichermaßen in den Lüften und so stürmte es unentwegt. Hier am Südzipfel des Landes sah ich voller Freude auch zum ersten Mal flächendeckend Windkraftanlagen. Es geht doch!
Die Nacht am südlichsten Punkt meiner Reise wollte ich gern im Auto verbringen. Auf der Suche nach einem geeigneten Stellplatz für die Nacht verfuhr ich mich und stand auf einmal auf dem Parkplatz eines Hotels. Ich ließ das Auto zurück und suchte zu Fuß weiter, konnte aber keine bessere Stelle finden. Also fragte ich im Hotel. „Ich bin den ganzen Weg aus Deutschland mit dem Auto hierher gefahren und wollte fragen, ob ich im Auto…“ – „Nein“. Ich konnte meine Frage noch nicht einmal zu Ende stellen schon wurde ich harsch unterbrochen. Kein Vielleicht oder Ausnahme möglich. Also fragte ich nach dem günstigsten Zimmer und dann durfte ich im Auto übernachten. Und das war auch gut so, denn die Bettwäsche im Zimmer sah so aus, als hätten schon zehn Gäste darin geschlafen. In Indien leider keine Seltenheit. Beim Auschecken wurde dann sogar noch eine „Servicesteuer“ verlangt, doch ich weigerte mich zu zahlen. Das erschien mir doch schon etwas frech.
Obwohl Kanyakumari nicht der schönste Ort Indiens ist, so ist die Atmosphäre dort eine ganz besondere. Ich glaube dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo sowohl Sonnenaufgang und zugleich Sonnenuntergang so verehrt und zelebriert werden. Ganze Herrscharen von Sonnenanbetern pilgerten zu den schönsten Aussichtspunkten und während der Untergang der großen roten Kugel mit andächtigen Schweigen von der Menge genossen wurde, bejubelten und beklatschten die Leute den neuen Tag, der sich mit der aufgehenden Sonne ankündigte. Innerlich jubelte auch ich und war unglaublich stolz es schon so weit geschafft zu haben. Von nun an sollte es für eine ganze Weile Richtung Norden gehen um mit jedem Kilometer der Heimat etwas näher zu kommen.
Lieber Mathi, ein Montag und ein Abend am Computer gehen in Dresden zu Ende. Ein Mal mehr folgte der Arbeit das Vergnügen, in deinem blog zu lesen und dich ein wenig auf deiner Reise zu begleiten. Sehr schön geschrieben und tolle Fotos! Ich wünsche dir eine gute weitere Reise! Deine Anja