Patagonien war für mich schon seit dem Tag, als ich das Reisen für mich entdeckt hatte, ein Sehnsuchtsziel. Entsprechend aufgeregt bin ich, als wir nun an den Toren dieser ganz besonderen Region unserer Erde stehen. Das wir von Nordamerika bis zum Ende Südamerikas reisen würden, das hat sich ja erst kurzfristig ergeben. Das wir nach Patagonien wollten, das war schon vorher fest geplant. Deshalb haben wir die Reise danach geplant. Denn in dieser Region ist Dezember bis Februar die perfekte Reisezeit. Da ist Sommer in Patagonien. Aber selbst im Sommer kann es hier schneien.
An alles haben wir aber nicht gedacht. Beste Reisezeit heißt nämlich wie bei uns daheim, dass Ferienzeit ist. Entsprechender Andrang herrscht hier in Patagonien. Und dieser Umstand sollte uns einige Male begegnen. Zunächst haben wir es aber mit einem schönen Zufall zu tun. Denn genau als wir in Puerto Varas ankommen, dem Tor zu Patagonien, ist auch der Ehemann einer Schulfreundin in der Stadt. Und der kennt sich richtig gut in der Region aus. Also treffen wir Thomas und seinen Reisegefährten Nico im Hotel „Dein Haus“ und tauschen lange Reisegeschichten und Patagonien-Tipps aus. Denn die beiden sind gerade mehrere Wochen mit dem Mietwagen durch die Region gefahren und haben einiges zu erzählen. Die wichtigste Information für uns ist, dass man möglichst frühzeitig Fährtickets für einen Teilabschnitt der Carretera Austral buchen sollte. Diese Straße soll in den nächsten Tagen unser bester Freund (und ärgster Feind -aber dazu später) sein. Sie beginnt etwas südlich von Puerto Varas und führt so weit in den Süden Chiles, bis die schmalen Fjorde keine Straße mehr zulassen. Auch gleich zu Beginn des Streckenabschnitts endet die Straße am Wasser, nimmt aber ihren lauf nach ca. 80 Kilometer wieder auf. Diesen Abschnitt überbrückt man mit einer Fähre. Und diese ist schnell ausgebucht. Am gleichen Abend setzen wir uns an den Rechner und versuchen einen Platz auf der Fähre zu ergattern. Für Autos sind aber laut Buchungsplattform nur noch 0,9 Meter Autolänge zu unserem gewünschten Zeitpunkt frei. Ansonsten für viele Tage erstmal nichts. Wir versuchen es trotzdem und können tatsächlich Fährticktes buchen. 3 Stunden auf der Fähre kosten uns allerdings stolze 160 Euro. Das tut weh, aber eine Wahl haben wir nicht.
Auch bei der Auswahl der Route haben wir wenig Ausweichmöglichkeiten. Eigentlich führt nur eine Route, die Ruta-7 oder eben die Carretera Austral von Norden nach Süden. Und die ist stellenweise ist extrem schlechter Verfassung. Eigentlich mögen wir Schotterpisten. Werden diese aber extrem beansprucht, verwandelt sich die Piste in sogenanntes Wellblech. Belastung für Mensch und Auto gleichermaßen. So beginnt es für uns zunächst recht holprig. Aber schön. Ein toller Stellplatz jagt den nächsten. Am ersten stehen wir direkt am Fjord. Ich kann morgens eine Runde mit dem Packraft fahren und auch Wanderwege sind nicht weit entfernt.
Reichlich Holperpisten-Kilometer später platzieren wir unsere Offroad-Wohnung auf einer Klippe. Die Zufahrtsstraße ist so steil, dass man diese auch nur mit Allrad überwinden kann. Auf dem Plateau ist es überraschend windstill, vor uns fällt die Sonne in den Pazifik, Delfine und Robben springen durch die Wellen und Phia brät super leckeren Thunfisch. Was will man mehr? Es ist einfach perfekt! Der Patagonien-Auftakt ist gelungen.
Dann bekommt der Auftakt einen kleinen Dämpfer. Es fängt mit einer gemeinen Biene an, die mich beim Warten auf die Fähre zwischen Daumen und Zeigefinger sticht. Das ist insofern gemein, dass diese Stelle bei jeder Handbewegung gereizt wird und die Schwellung erst nach vier Tagen abklingt. Die Fährfahrt hingegen ist eine tolle Erfahrung und hat einen Hauch von Fjordkreuzfahrt. Dann müssen allerdings alle Autos (ca. 100) von der Fähre runter, im Konvoi 10 Kilometer bis zum nächsten Fähranleger fahren, um die letzten wenigen Kilometer mit der zweiten Fähre zurückzulegen. Die 10 Kilometer Straße sind allerdings Schotterpiste, was dazu führt, dass alle Autos nach Ankunft auf der Fähre von einer dicken Staubschicht überzogen sind. Als wir dann endlich wieder auf dem Festland ankommen, ist es bereits dunkel. Der nächste Campingplatz ist weitere 14 Kilometer Konvoi im Staub entfernt und dazu noch komplett überfüllt. Wir sind diese Nacht gezwungen, auf einen Parkplatz zu übernachten, auf dem Camping eigentlich verboten ist. Und ihr könnt euch vorstellen, wie unsere Sicherheitsbeauftragte auf solche Schilder reagiert. Aber eine Wahl haben wir nicht.
Wir befinden uns im Pumalin-Nationalpark. Das diese Landschaft heute ein Schutzgebiet ist, verdanken wir dem Gründer der Outdoor-Marke „The North Face“ Douglas Tompkins. Dieser kaufte große Landflächen in Patagonien, um sie von der Abholzung und Überfischung zu schützen. Das Land gab er dann an Chile unter der Bedingung zurück, dass es zum Schutzgebiet erklärt wird und frei für alle Menschen zur Verfügung steht. Letzteres mag normal klingen, aber in den letzten Jahren sind rund um die Carretera Austral zahlreiche Schutzgebiete entstanden, die Touristen und Naturliebhaber nur für viel Geld besuchen können. Mit der Natur wird Geschäft gemacht und selbst für kleine Wanderungen wird ein sattes Eintrittsgeld fällig. So können wir wenigsten im Pumalin Nationalpark ohne Eintrittsgeld Wanderwege und die Natur genießen.
Auf der Suche nach einem Stellplatz für die nächste Nacht finden wir einen einfachen, aber schön gelegenen Campingplatz direkt am Fjord. Irgendwie will keiner in der ersten Reihe am Wasser stehen und so finden wir den perfekten Platz für die Nacht mit Blick aufs Meer, auf Vulkane und auf reichlich Delfine und Robben. Später erfahren wir, dass es meistens sehr windig ist und deshalb die Camper gern unter Bäumen Schutz suchen. Wir haben allerdings bestes Wetter und null Wind! Warum also unter Bäumen platzieren, wenn man den besten Ausblick vor sich hat?! Am Abend sitzen wir noch lange mit einer Gruppe Schweizern am Lagerfeuer zusammen, die ebenfalls mit eigenem Gefährt unterwegs sind und tauschen Reisegeschichten aus. Patagonien macht wieder Spaß!
Das gute Wetter müssen wir genießen, denn eine Wetteränderung steht an. Noch haben wir traumhaften blauen Himmel über uns. Doch das soll sich bald ändern. Wir wandern zu einem Aussichtspunkt, von dem wir hängende Gletscher sehen können. So langsam beginnen die gewaltigen Eisfelder Chiles, von dem man zu meist nur die Gletscher als Abbruchkante entdecken kann. Mal wieder finden wir einen traumhaften Stellplatz. Direkt am Fluss, ganz für uns allein (von einer chilenischen Camperfamilie ein ganzes Stück weit weg abgesehen) und dazu noch mit dem Packraft befahrbar. Wieder ein Platz, an dem man einige Tage verweilen könnte.
Doch unser Weg führt uns weiter gen Süden. Wir wollen einen weiteren hängenden Gletscher besuchen, der nebenbei eine der Hauptattraktionen Chiles ist. Der Ventisquero Colgante. Wir sind zunächst noch unentschlossen, haben wir doch am Vortrag schon einen bedeutenden Gletscher mit dem Ventsiquero Yelcho gesehen, dazu fast ganz alleine für uns und kostenfrei. Doch die Hauptattraktion dieser Region Chiles wollen wir uns nicht entgehen lassen! Wichtig natürlich: Die Vorbestellung. Online müssen wir den Besuch reservieren, um Vorort die 11 Euro Gebühr pro Person für den Gletscherbesuch zu bezahlen. Hauptattraktionen haben eben ihren Preis. Und wie wir bei unserer Ankunft feststellen müssen, schreckt auch dieser hohe Eintrittspreis kaum jemanden ab. „Die Parkplätze sind voll, Sie müssen da vorne parken“ erklärt mir der Parkranger an der Zufahrt. „Ist viel los heute?“ möchte ich von ihm wissen. „Ja natürlich! Es ist Samstag! Es sind wohl über 500 Besucher auf den Wanderwegen unterwegs.“ fällt seine Antwort aus. Das nimmt doch jeden Reiz! Wir lassen unsere Reservierung verfallen, sparen uns die 22 Euro und fahren weiter.
Traurig sind wir über diese Entscheidung nicht wirklich. Natur können wir nur genießen, wenn wir nicht Menschenmassen umgeben sind. Sonst kann selbst die größte Naturattraktion den Reiz verlieren. So legen wir noch einen Umweg über Puerto Cisnes ein, der nicht nur die Ortskenntnis erweitert, sondern auch traumhafte Ausblicke und ein leckeres Mittagessen parat hat.
Der Tag endet mit einen kleinen Overlandertreffen. Dainan, der kanadische Motorradfahrer, mit dem wir von Panama nach Kolumbien verschifft haben, ist in der Nähe. Wir verabreden uns zum späten Nachmittag auf einem Wildcampingplatz. Das klappt auch bestens! Bei unserer Ankunft ist Dainan zwar noch nicht angekommen, dafür Bine und Mike. Die beiden Franken sind mit ihrem Landrover Defender mit Wohnkabine auf unbestimmte Zeit unterwegs. Zusammen mit Dainan sitzen wir bei Bratwurst und Bier noch bis spät in die Nacht zusammen und tauschen Reisegeschichten aus. Das sind die schönsten Momente für Overlander.
Wir bleiben spontan einen Tag länger am Stellplatz. Hier können wir Wäsche waschen, im Bach schwimmen und einfach mal entspannen. Auch Dainan bleibt noch einen Tag mit uns, Mike und Bine machen sich aber auf die Weiterreise. Beim Austausch unserer Kontaktdaten fällt Bine auf, dass sie in Vorbereitung ihrer Reise (eigentlich wollten die beiden mit ihrem Auto Richtung Indien fahren) schon lange meinen Blog gelesen und meine Reisen verfolgt hat. Darauf ist sie ganz baff und wir müssen alle über diesen Zufall lachen. Abends laden wir noch ein Radfahrer-Pärchen aus Spanien zu uns zum Essen ein, dass nachmittags am Stellplatz angekommen ist. Patricia und Nestor sind seit zwei Jahren mit ihren Fahrrädern und nur dem allernötigsten unterwegs. Sie sind in Nordamerika gestartet und wollen bis nach Ushuaia mit dem Fahrrad fahren. Einfach nur extrem, vor allem bei den anstehenden Winden und den hunderten Kilometern ohne Zivilisation, Wasser oder eine Schutzmöglichkeit . Dainan erzählt uns, dass er schon viele Radfahrer getroffen hat und viele durch ihr weniges Gepäck nur sehr wenig Essen dabeihaben. Nestor wollte hier am Fluss einen Fisch angeln, hatte aber keinen Erfolg. Ein recht maues Abendessen stand den beiden bevor. Eigentlich wollten die beiden einen Tag länger bleiben, aber sie wissen nicht ob ihre Vorräte dann reichen. Das ist genug! Phia kocht eine riesengroße Portion Käsespätzle und wir laden die beiden zu uns ein. Wir verbringen einen schönen Abend, an dem die beiden mal wieder auf Stühlen am Tisch sitzen, aus richtigen Gläsern trinken können und das alles im Schein der Lichterkette.
Dann ist es Zeit zum Abschied. Da wissen wir noch nicht, dass wir Dainan bald nochmal wiedersehen werden. Abschied müssen wir auch vom schönen Wetter nehmen, denn auf unsere Weiterreise in den Süden verfinstern sich die Wolken. So kommt leider die Farbe des größten Binnengewässers Chiles, dem Lago General Carrera, gar nicht richtig zur Geltung. Doch als wir dann am nächsten Tag eine Bootstour zu den Marmorkathedralen unternehmen, kommt die Sonne nochmal raus und versetzt den See in surreale blauen Farben. Als wäre dieses Naturspektakel nicht genug, fahren wir mit dem Boot in die kleinen Höhlen hinein, die der See in die Marmorfelsen gespült hat. Diese Naturschönheit gibt es nur hier zu bestaunen und prägt sich in unser Gedächtnis ein. Ebenso wie die Bootsfahrt, die uns ordentlich ausgekühlt hat, denn Wind und kaltes Spritzwasser haben uns durchgeweicht. Dazu hatten wir nicht auf dem Schirm, dass die Tour über 3 Stunden dauern würde und unsere Blasen zum Ende fast zum Platzen gebracht hätten, da es direkt nach den 2 Tassen Kaffee am Morgen los ging.
Neben den Marmorkathedralen hat die Region mit dem „Valle de las Exploradores“ – übersetzt „Entdeckertal“ ein weiteres Highlight parat. An nur wenigen Orten der Welt kann man so viele Gletscher konzentriert an einem Ort finden. Vorausgesetzt das Wetter stimmt. Das ist bei uns nach vielen Tagen perfekten Sonnenschein nun nicht mehr der Fall. Nur ab und zu schaut ein Teil von einem Gletscher unter den Wolken hervor. Wenigstens bleibt es vorerst trocken, sodass wir noch einmal einen tollen Stellplatz komplett genießen können.
In der Nacht zieht Regen auf und setzt sich fest. Unsere Hoffnung am nächsten Tag zu den Gletschern zu wandern ist damit hin. Wenigstens staubt die Schotterpiste bei Regen nicht mehr, trotzdem holpert und scheppert es auf der Fahrt durch diesen abgelegenen Teil Chiles, dass es uns schwer fällt diesen Abschnitt zu genießen. Ständig drehen sich unsere Gewürzgläser auf. Zudem fällt uns auf, dass die Halterung des Wasserkanisters schon wieder an zwei Stellen gebrochen ist. Die Suche nach einem Mechaniker der schweißen kann gestaltet sich hier schon schwerer. Denn unsere Suche fällt genau in die Mittagspause (11:30 – 15:00 Uhr) und hier möchte die keiner für uns unterbrechen. Irgendwann ist aber jede Mittagspause mal vorbei und dann sind die Mechaniker wieder hilfsbereit. Die Halterung bekommt jetzt eine Verstärkung an den Bruchstellen und wird nun den Rest der Reise durchhalten. Wir parken unser Auto für die Nacht auf einem Plateau, von dem wir trotz des schlechten Wetters herrliche Ausblicke auf den größten See Chiles und die umliegenden Berge haben. Wie muss es hier wohl bei schönem Wetter sein?
Nach vielen holprigen Pistenkilometern verlassen wir die Carretera Austral und fahren in Richtung argentinischer Grenze. Auf dem Weg dahin passieren wir hellblaue Flüsse, tiefe Canyons und spitze Schneeberge. Dazu sehen wir unseren ersten Andenkondor und viele Guanacos, die wie Alpakas und Vicunas eine Lama-Gattung sind (inzwischen können wir alle Tiere perfekt voneinander unterscheiden).
Noch einmal genießen wir einen schönen Stellplatz und sind gespannt was Argentinien für uns bereithält. Da wissen wir noch nicht, dass wir unseren Plan am nächsten Tag wieder mehrfach ändern müssen.
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