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Schweißperlen rollen mir über die Stirn. Die Sonne steht sehr hoch. Mittagshitze. Vor 20 Minuten bin ich von der Hauptstraße nach Pondicherry nach rechts abgebogen und bin über eine Dorfstraße in Richtung Auroville gefahren. In Varanasi habe ich von diesem Ort gehört. „A-U-R-O-V-I-L-L-E – schau mal auf Google nach! Da musst du unbedingt hin…” Und jetzt bin ich hier. Mein Auto steht auf dem Parkplatz des Besucherzentrums. Es ist schon komisch, dass dieser Ort ein Besucherzentrum hat. Über einen Waldpfad bin ich vom Parkplatz zum Besucherzentrum gelaufen. „Ich möchte eine Weile hier bleiben und gerne auch Freiwilligenarbeit leisten. Wo könnte ich da am besten hin?“ fragte ich dich gute Frau im Büro für Unterkünfte in Auroville. „Probier mal die Solitude Farm, die ist nur 15 Minuten von hier.“ Gesagt, getan. Ich wollte gleich mit dem Auto dahin fahren, doch um nach Auroville reinzufahren, musste ich an einem Security-Checkpoint vorbei. Und eine Passiergenehmigung bekomme ich nur, wenn ich eine Unterkunft in Auroville habe. Ich ließ also mein Auto stehen und lief in der brüllenden Mittagshitze zur Solitude Farm. Krishan, der Besitzer, war mächtig beschäftigt. „Hier geht gerade alles drunter und drüber. Wir haben sehr viele Freiwillige, das tut mir leid. Probier doch mal das Youth Center.“ Hmm da war ich schon etwas enttäuscht. 30 Minuten lief ich hier in einer unglaublichen Hitze entlang trockener Straßen. Doch ich hatte Erfolg. Ich durfte bleiben. Jetzt musste nur noch das Auto zum Jugendzentrum, doch auch das war gar nicht so einfach. Und so stand ich schweißgebadet an der Schranke, um einige Tage in Auroville zu verbringen.
Die Vision von Auroville
Im Jahre 1914 traf die Französin Mirra Alfassa, später nur unter den Namen „Die Mutter“ bekannt, in Pondicherry den Freiheitskämpfer und späteren Yogi Sri Aurobindo. Es war eine Begegnung, die ihr Leben veränderte. Seit 1920 dauerhaft in Pondicherry setzte sie sich mit ihrem großen Lehrer, wie sie es nach der ersten Begegnung mit dem Yogi sofort verspürte, mit vielen philosophischen Fragen auseinander. Zusammen diskutierten sie die Entwicklung des Menschen und in welcher Richtung die Evolution dabei gehen sollte. Der Mensch, seit jeher an materiellen Bedürfnissen gebunden, steht demnach eine Entwicklung bevor, in der sich dieser vollständig von dem Materiellen losgesagt und eine Weiterentwicklung im spirituellen Sinne anstrebt. Eine Hingabe nach dem Göttlichen, ohne das dabei eine Religion eine Rolle spielt. Doch damit solch eine Entwicklung möglich sein kann, ist es notwendig, dass dafür auch ein geeigneter Ort geschaffen wird. Ein Ort den „keine Nation als ihr Eigentum beanspruchen kann“ und an welchem „Bedürfnisse des Geistes […] Vorrang haben vor der bloßen Befriedigung von Wünschen und Leidenschaften.“ Die Idee von Auroville war geboren.
In ihren Ashram (Meditationszentrum) in Pondicherry konfrontierte die Mutter zusammen mit dem Sri Aurobindo in den Folgejahren viele Schüler mit ihren Ideen. Viele Begegnungen veränderten für die Schüler ihr Leben. Der Traum Auroville nahm Gestalt an und ein passender Ort war gefunden. 10 Kilometer von Pondicherry entfernt war es möglich günstig wüstenähnliches Land zu erwerben. Aus Europa machten sich eine Hand voll Pioniere auf dem Weg nach Indien. Im Jahre 1968 kam es zur Grundsteinlegung von Auroville. Jugendliche Vertreter aus 124 Ländern und 23 indischen Bundesstaaten brachten heimische Erde mit, welche die Menschliche Einheit symbolisieren sollte. Auroville wurde Wirklichkeit.
Die Entwicklung von Auroville
Die Pioniere von Auroville waren zunächst hauptsächlich damit beschäftigt, das günstige erworbene, jedoch ausgesprochen karge Land, in eine bewohnbare und landwirtschaftlich nutzbare Gegend umzuwandeln. Dies bedeutete zunächst eins: Bäume pflanzen. Der Plan von Auroville sah eine Einteilung in vier Zonen vor: Der Kulturellen Zone (Schulen, Sportzentren, Zentren für künstlerische Aktivitäten), der Internationalen Zone (Pavillons unterschiedlicher Nationen und Völker, um Verschiedenheit der Kulturen zu würdigen), der Industriellen Zone (Landwirtschaftliche- und Produktionsbetriebe) sowie der Wohnzone. Im Zentrum war ein Ort zu Entwicklung der „Vereinigung mit dem Göttlichen, die in einer fortschreitenden Menschlichen Einheit ihren Ausdruck findet“ geplant, den Matrimandir. Die Siedlung war auf einen Durchmesser von 2,5 Kilometern geplant. Innerhalb von Auroville sollte Geld keine Verwendung finden, sondern hauptschlich in Verbindung mit der äußeren Welt zur Aufrechterhaltung von Auroville dienen.
Eine Woche in Auroville
Während ich also wartete, dass mir nun die Genehmigung erteilt wird, mit meinem Auto nach Auroville hineinzufahren, fuhr ein Mann auf einem Motorrad an mir vorbei, wendete und hielt vor mir an. „Jetzt muss ich dich das mal fragen, ich hab das Nummernschild gesehen. Bist du wirklich den ganzen Weg von Deutschland hierher gefahren?“ fragte mich der Mann in österreichischen Akzent. Das ist eine der prägendsten Erfahrungen auf der Reise. Mit dem Auto fällt man auf. Immerzu wird man angesprochen und lernt dabei spannende Menschen kennen. Allerdings ist es manchmal auch ermüdend, immer wieder die gleiche Geschichte zu erzählen, die sich mit der Zeit lediglich an den verbrachten Monaten und zurückgelegten Kilometern ändert. Doch ich kann es verstehen. Ich selber wäre wohl auch sehr neugierig und würde fragen. Manu wohnte bis vor zehn Jahren noch in Wien, brach dann aber mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Auroville auf. Um die Wartezeit zu verkürzen lud er mich kurzerhand zu sich nach Hause auf einen Tee ein. Ein Freund aus Isreal war auch da. Beide waren sich einig. Es gibt keinen besseren Ort auf der Welt, um Kinder großzuziehen. Und Manu wusste das sehr wohl zu schätzen. In Afghanistan geboren flüchtete er als Kind mit seiner Familie vergeblich zunächst vor den Russen und später dann erfolgreich vor den Taliban.
Nach dieser sehr spannenden Begegnung öffnete sich später zurück am Auto nun auch die Schranke für mich. Das Jugendzentrum hielt einen schattigen Platz für mich bereit. Für eine Spende von 100 Rupien (1,40€) pro Tag und gelegentlicher Mitarbeit (Laub fegen, Samstags zur Pizzanacht beim Pizzabacken helfen) durfte ich bleiben und Küche und Bad benutzen. Das Beste war jedoch die Werkstatt. Auf dem Gelände gab es tolle Baumhäuser und spannende Spielgeräte (z.B. eine Riesenwippe) und die wurden allesamt in Handarbeit errichtet. Das notwendige Werkzeug war in der Werkstatt zu finden, die ich auch benutzen konnte. So bastelte ich in den ersten Tagen mir eine ausfahrbare Küche mit Zubereitungstisch und Gewürzregal in mein Auto.
Zufrieden angekommen brach ich am ersten Abend zu einem Spaziergang auf. Dabei passierte ich das Zentrum von Auroville – den Matrimandir. Wie ein gelandetes Raumschiff aus einer anderen Welt lag das futuristisch anmutende Gebäude ruhig inmitten einer grünen Parklandschaft. Ich spazierte in den Park und genoss die Ruhe und den Frieden, die sich mit der untergehenden Sonne auf den perfekt geschnittenen Rasen legten. Nach einer Weile beschloss ich mir das Raumschiff von innen anzusehen. 1971 wurde mit dem Bau begonnen. In mühevoller Handarbeit errichteten die europäischen Pioniere von Auroville mit kräftiger Unterstützung der Frauen und Männer der umliegenden Dörfern in mehr als 23 Jahren die „Seele von Auroville“. Das Matrimandir wurde als Ort der Konzentration konzipiert, ein Ort für das Bemühen, sein Bewusstsein zu finden. Eines sollte es aber unter keinen Umständen sein: Ein religiöser Ort.
Damit es möglich ist, sich ungestört im Inneren des Kraftzentrums auf dem Pfad zum Göttlichen zu bewegen, ist es nur möglich als Besucher das Gebäude mit einem Besucherpass zu bestimmten Zeiten zu betreten. Selbiges gilt bereits für die gesamte Parkanlage, doch der Parkwächter muss wohl gerade geschlafen haben als ich hineinspaziert bin. Die Frau am Eingang zum Gebäude klärte mich jedoch dessen auf. Nachdem wir eine viertel Stunde geplaudert hatten sagte sie „Ok ich mach für dich eine Ausnahme. Ich erkläre dir auf was du im Inneren achten musst, um keinen zu stören. Dann lass ich dich hinein.“ Ich betrat das mächtige Kuppelgebäude über eine Treppe. Als ich die Tür hinter mir leise ins Schloss fallen ließ, bekräftigte sich mein erster Vergleich zu einem Raumschiff. Ich befand mich in einer anderen Welt. Ich hörte Wasser plätschern, gedämpft von den teppichüberzogenen Wänden der Vorhalle. Zunächst musste ich weiße Socken anziehen, dann lief ich über eine Spirale nach Oben. Das Innere des Matrimandir wurde durch indirektes Licht beleuchtet. Eine ganz besondere und schwer zu beschreibende Aura lag im Raum. Es war friedlich. Dann betrat ich das Herzstück. Die Inner Chamber (Innere Kammer).
Moin Moin!
Wie immer ausführlich und gute Bilder, das muss man dir lassen.
Wirst du dich eigentlich nochmal abschließend zu den Grenz- und Visamodalitäten auslassen, evtl. auch zu den Kosten und Anbietern für die China-Querungen auslassen oder kann man dir mal eine Liste mit Fragen zukommen lassen 🙂
Wir haben ungefähr auch sowas in der Art vor, ab ca. 2018, erstmal ne Runde nur mit Koffer unterwegs. Allerdings bleiben uns quasi nur noch 5-6 Monate Planung auf heimischen Boden, alles andere muss während der Kofferreise oder ad-hoc passieren.
Grüßle auch aus Dresden