Leben und sterben in Varanasi

Als wir an den Haupt-Ghat vorbeifahren, den Dashaswamedh Gath, herrscht ein unglaubliches Gedränge am Ufer. Jeder versucht einen Platz in vorderster Reihe zu bekommen. Ich kann mir nur schwer vorstellen nur einen kleinen Zeh in dieses Wasser zu halten. Die gesamte Kanalisation wird ungefiltert in den Fluss geleitet. Einige Kilometer stromaufwärts fließt mit Schwermetallen verseuchtes Fabrikabwasser in den doch so heiligen Fluss. Und manche Hindus trinken sogar davon. Das alles ist für mich unverständlich. Surreal. So wie die gesamte Stadt.

Das dichte Gedränge ist schon vom weitem erkennbar
Das dichte Gedränge ist schon vom weitem erkennbar
Szenen am Ganges
Szenen am Ganges

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„Hier siehst du die Hauptverbrennungsstelle.“ Wir haben mittlerweile die größten Ghats hinter uns gelassen und befinden uns unmittelbar vor einer gewaltigen Verbrennungsstelle. Es ist nun kurz vor 9 Uhr morgens und es brennen schon die ersten Feuer. „Jeder Hindu möchte genau hier eines Tages verbrannt werden. Das ist die heiligste Stelle. Jeden Tag werden mehr als hundert Körper hier verbrannt.“ Ein leichter Geruch von verbranntem Fleisch liegt in der Luft. „Wenn du genau hinschaust siehst du keine Frauen am Feuer und in der unmittelbaren Umgebung. Das liegt daran, dass Frauen leicht überemotional beim Anblick seiner geliebten Menschen reagieren. Und nach unserer Tradition gehört es sich nicht bei dieser Zeremonie zu weinen oder zu schreien. Früher hat sich sogar manch eine Frau direkt zu ihrem Ehemann ins Feuer geworfen. Das wollen wir natürlich nicht. Getrauert wird dann daheim“. Wir fahren ganz nah an das Ufer heran. Fotografieren ist hier strengstens verboten, aber Puja gibt mir die Erlaubnis. Ich weiß nicht so richtig was ich davon halten soll, als ich den Auslöser betätige. Doch als ich heran zoome bleibt der Auslöser still. Ich kann deutlich Beine und einen Kopf aus einem der Feuer sehen. Noch nie zuvor habe ich einen Menschen verbrennen sehen. „Wir Hindus glauben an die Wiedergeburt. Wenn wir sterben verlässt unsere Seele den Körper und gelangt im selben Moment in einen neuen Körper, der gerade entsteht. Unsere Taten aus unseren vorherigen Leben beinflusst unser Karma und das wiederrum entscheidet, ob wir als Rate, Elefant, Mensch niedriger oder Mensch höherer Kaste geboren werden. Wenn die Seele aus dem Körper gefahren ist, dann ist der Mensch bereits von uns gegangen. Innerhalb von 48 Stunden muss nun der Körper verbrannt werden. Doch nicht jeder wird verbrannt. Schwanger Frauen, Kinder bis 10 Jahre, Sadhus und Menschen die an einem Kobrabiss gestorben sind werden in der Mitte des Flusses versenkt, indem Steine an ihre Gliedmasen als Gewichte gebunden werden.“ Ich stell mir vor wie viele Knochen hier wohl im Flussschlamm liegen und frage mich, ob nicht manchmal einige Kilometer Flussabwärts der ein oder andere Körper wieder an der Wasseroberfläche erscheint. Ich bin froh als wir diese Stelle verlassen. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ich für mehrere Tage mehrmals eine der Verbrennungsstellen passieren und mich an den Anblick gewöhnen sollte.

Das Verbrennungsghat
Das Verbrennungsghat
Selbiges am Abend. Eine gespenstische Stimmung
Selbiges am Abend. Eine gespenstische Stimmung

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Reiseliteratur

Mathias Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Maria Prechtl
    20. Februar 2017
    Antworten

    Hallo, hallo, lieber Mathias, danke für so echt nachzuspülende Situationsschilderungen, prima!

  2. Maria Prechtl
    15. Februar 2017
    Antworten

    In Gedanken war ich grad bei Dir, so richtig im überwältigenden Varanasi samt Gedränge, Getöns, Gestank…
    Danke für Bilder und Berichte
    Maria

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