Es ist Silvester. Und wir sind in Bolivien. Wir haben es tatsächlich ohne größere Probleme und vor allem ohne Blockaden geschafft durch Peru zu kommen. Das will was heißen. Wir treffen später viele Reisende, die leider nicht so viel Glück hatten und hören die wildesten Geschichten.
Wir schlagen unser Camp im Garten eines Hotels am Rande der Kleinstadt Copacabana am Titicaca-See auf. Bei bestem Sonnenschein und 25 Grad. Dann schauen wir „Dinner for One“ – das gehört an Silvester einfach dazu, ohne Ausnahme. Es gibt in der Stadt unzählige Verkaufsstände mit Wunderkerzen, Feuerwerk, blinkenden Hüten und Haarreifen. Da schlagen wir doch gleich mal zu, dann kommt auch die passende Stimmung auf. Als es in Deutschland 0 Uhr ist, ist es bei uns gerade mal 19 Uhr und wir suchen uns ein Cafe mit schönem Ausblick und Wifi. So können wir unsere Liebsten zuhause anrufen und sind auch ein bisschen mit dabei, als in Deutschland die Jahreszahl gewechselt hat. Danach schnappen wir uns unsere Campingstühle und setzen uns an ein Lagerfeuer direkt an den See mit bestem Blick auf die Stadt und das Feuerwerk. Dazu gibt’s gute Musik und wir feiern zu zweit ins neue Jahr. Pünktlich um 23:59 Uhr beginnt es zu regnen und wir zünden unsere Wunderkerzen unter dem Regenschirm an.
Danach ziehen wir um, in ein schönes kleines Hotel – mit tollem Seeblick, Kamin und eigenem Whirlpool. Hier warten wir auf Ronny, unseren nächsten und letzten Mitreisenden. Bevor es für uns alle dann richtig abenteuerlich wird und wir die Zivilisation für längere Zeit verlassen, lassen wir es uns nochmal gut gehen.
Unser erster Ausflug zu dritt bringt uns zu den Inseln „Isla de la Luna“ und Isla del Sol auf dem Titicaca-See. Übersetzt heißen die Inseln „Mondinsel“ und „Sonneninsel“. Die Kultur der Inca fand hier vor fast 1.000 Jahren ihren Ursprung. Doch schon davor waren die Inseln auf dem höchstgelegenen schiffbaren See der Welt durch Hochkulturen besiedelt. Zeugnisse finden wir hier auf der Mondinsel, auf der die Ruine einer Agrar- und Astronomieschule für Mädchen zu finden ist. Für die Tour zu den Inseln auf den Titicacasee haben wir uns für eine private Bootstour mit Fremdenführer entschieden. So erfahren wir nicht nur viele interessante Fakten über den Ursprung des Inkareichs, sondern auch einiges über einige Sitten der Ureinwohner, die sich bis heute erhalten haben. Zum Beispiel kommt in Bolivien zum Tag der Toten (Dia de los Muertos, Ende Oktober/Anfang November) die ganze Familie zu einem großen Fest zusammen, um den schönen gemeinsamen Momenten zu gedenken und die Lieblingsspeisen der Verstorbenen zu kochen. Wenn dann z.B. eine Fliege vorbeifliegt freuen sich alle, denn das bedeutet, dass der Verstorbene vorbeigekommen ist. Eine schöne Tradition von der wir uns Europäer viel abschauen können.
Bevor wir dann selbst einen Fuß auf die Sonneninsel setzen können, erleben Ronny und ich zunächst einen Schreckmoment. Als wir vom Boot auf den Steg treten und dort warten bis auch Phia das Boot verlässt, bricht plötzlich der Steg zusammen. Wie gut, dass hinter uns noch ein anderes Boot steht, denn so können wir uns beide gerade noch so festhalten. Wer schon mal seinen großen Zeh in das Wasser des Titicacasees gehalten hat weiß, dass dies sehr ungemütlich geworden wäre. So ist nochmal alles gut gegangen und wir können die heiligen Stätten der Incas besuchen.
Auch unser Pajero muss auf der Weitereise einmal über den Titicacasee drüber. Allerdings mit einer sehr abenteuerlichen Fähre und dies nur über eine ca. 300 Meter breite Passage. Nach unserer Erfahrung mit dem zusammengebrochenen Steg sind wir noch etwas skeptisch, als wir die „Fähren“ so begutachten. Reichlich 15 Fähren schippern bei unserer Ankunft Autos und Busse ans andere Seeufer. Eine andere Wahl bleibt uns auch nicht und so schaffen wir es schließlich auch trockenen Reifens auf die andere Seite. Lange bleiben die Reifen jedoch nicht trocken, denn auf den Abzweig in die tiefen der Anden ziehen dunkle Regenwolken auf. Nicht die besten Voraussetzungen, wollen wir doch morgen den 5.320 Meter hohen Pico Austria besteigen. Doch dann sollte sowie alles anders kommen.
Zunächst startet es mit einer positiven Überraschung. Aufgrund des schlechten Wetters beziehen wir eine sporadische Unterkunft auf 4.300 Meter, die durch einen Bergführer betrieben wird. Die Wandersaison endet hier Anfang Dezember. Das jetzt überhaupt Touristen kommen, beschreibt der Bergführer als „Wunder“. Denn regen- und wolkenfreie Tage gibt es zu dieser Jahreszeit nur selten. Als wir ankommen hagelt es sogar. Aber anscheinend haben wir Glück, denn zum Nachmittag reißt plötzlich der Himmel auf und ermöglicht uns eine Akklimatisierungswanderung auf einen Bergrücken auf 4.750 Meter. Dazu taucht total unerwartet vor uns der 6088 Meter hohe Huayna Potosi auf. Was für ein Erlebnis. Für den nächsten Tag kündigt sich ähnlich gutes Wetter an. Doch für uns kommt alles anders. Kaum sind wir von der kleinen Wanderung zurück, fällt Ronny erschöpft und mit Kopfschmerzen ins Bett. Heute wird er es nicht mehr verlassen. Essen nimmt der Magen auch nicht an und zu allem Überfluss wird der getrunkene Tee gleich wieder ausgebrochen. Diagnose: Höhenkrankheit. Auch Phia rafft es am nächsten Tag hin. Da wir uns mit Ronny ein Zimmer geteilt haben und er nachts reichlich geröchelt hat, konnte Phia aus Sorge nicht Schlafen und konnte sich somit auch nicht richtig erholen. Da schlägt die Höhenkrankheit besonders hart zu und kommt mit Magen-Darm um die Ecke. Ronny indes hat sich schon etwas erholt und kann mit mir auf eine kleine, ebene Wanderung starten. Den Pico Austria sehen wir somit nur von unten. Das Wetter wäre perfekt gewesen. Doch vor allem die Gesundheit muss bei einer Wanderung in diesen Höhen perfekt sein.
Bei Höhenkrankheit sollte man so schnell wie möglich wieder von der Höhe runterfahren. Das ist gar nicht so einfach in Bolivien. Aber wir gehen es an und schlagen uns bis zur Hauptstadt La Paz durch. Diese liegt auf 3.500 Meter und somit in einem Talkessel. Umgeben ist das wirtschaftliche Zentrum Boliviens und Sitz der Regierung von El Alto (La Paz ist nämlich nicht die Hauptstadt Boliviens, sondern Sucre). Einer Millionenstadt die jährlich neue Einwohner anzieht, welche die harte Arbeit auf dem Land hinter sich lassen wollen und ihr Glück in der Großstadt versuchen wollen. Das bedeutet für uns eine mühselige Anreise. Stau, Verkehrschaos und extrem steile Bergstraßen, die nach La Paz hinunterführen. Mit zwei Patienten am Board habe ich alle Hände voll zu tun.
In La Paz legen wir eine Bierpause ein und schlafen viel. Das hilft. Schon am nächsten Tag sind Phia und Ronny wieder fit und haben sogar Energie für einen Stadtspaziergang. Doch eigentlich ist uns das Gewusel der Großstadt viel zu viel. Wir wollen so schnell wie möglich wieder in die Natur.
Dafür brauchen wir natürlich reichlich Treibstoff. Der soll aber in Bolivien gar nicht so leicht zu bekommen sein, wurden wir vorgewarnt. Denn wir ziehen Krisen an und pünktlich mit unserer Einreise nach Bolivien kam es in der Hauptstadt zu Protesten, die drohten sich auf das ganze Land auszubreiten und Lieferketten zu unterbrechen. Doch noch haben wir Glück und das Tanken wird zu einem richtigen Erlebnis. Der Treibstoff in Bolivien ist stark subventioniert, allerdings nur für die Einheimischen. Der Liter Diesel kostet für Bolivianer ca. 60 Cent. Für Ausländer wird das Doppelte verlangt. Doch in der Regel läuft es wie folgt ab: Man fährt zur Tankstelle und fragt nach dem Dieselpreis. Der Tankwart erkennt schnell, dass man ein ausländisches Auto fährt und fragt, ob man fürs Tanken denn eine Rechnung möchte. Die Antwort ist in diesem Fall natürlich nein. So nennt einen der Tankwart einen Preis, der zwischen den Preis für Bolivianer und dem für Ausländer liegt. Abgerechnet wird seitens des Tankwarts dann natürlich der Preis für Bolivianer. So verdient der Tankwart, denn die Differenz wandert in seine Tasche. Und der Ausländer spart auch Geld. Eine Win-Win-Situation. Und wahrscheinlich das einzige Land auf der Welt, wo man für den Literpreis Diesel handelt.
Unser erstes großes Ziel ist die Uyuni-Wüste. Wir planen den größten Salzsee der Welt von Nord nach Süd zu durchqueren, ohne zu wissen ob das gerade möglich ist. Natürlich hat gerade die Regenzeit in der Region eingesetzt. Bei Regen sammelt sich das Wasser auf dem Salz und die Zufahrtsstraßen sind nicht mehr zu erkennen. Dies ist vor allem am Ufer gefährlich, da unter der Salzkruste mitunter Hohlräume sind, durch die man dann samt Auto einbrechen kann. In der letzten Ortschaft vor der Salzwüste tanken wir nochmal voll (der Tankwart berechnet uns sogar nur den bolivianischen Preis) und füllen in einem Restaurant unsere Mägen mit Lama-Steaks. Der freundliche Besitzer warnt uns vor dem Südufer der Uyuni. „Viele Fahrzeuge sind dort schon eingebrochen und untergegangen. Verlasst bloß nicht den Hauptweg. Das kann böse enden.“ Bald werden wir uns an seine Worte erinnern.
Doch vorher verschlägt es uns die Sprache. Die 10.000 Quadratmeter große Salzpfanne ist so groß wie Niederbayern. 10 Milliarden Tonnen Salz und 5,4 Millionen Tonnen Lithium sollen hier lagern. Für uns ist das schwer zu fassen, sehen wir doch nur unendlich viel Weiß. Wir schlagen am nördlichen Ufer unser Lager auf und besteigen bis auf einer Höhe von 4.900 Meter den Vulkan Tunupa, von dem aus wir einen herrlichen Blick auf die Salar genießen. Von Wolken ist keine Spur. Wir wagen das Abenteuer Uyuni!
Es ist ein magischer Augenblick durch die endlose Salzwüste zu fahren. Das Navi sagt 40 Kilometer geradeaus. Wir folgen Autospuren, die sich auf der Salzkruste verewigt haben. Irgendwann taucht am Horizont ein Punkt auf, der immer weiterwächst. Die Insel Incahuasi. Unsere Orientierung, falls die Autospuren verblassen.
Die Uyuni-Wüste und das angrenzende Altiplano sind ein begehrtes Ziel zahlreicher Touristen, erreichbar nur durch organisierte Expeditionen mit dem Geländewagen. Die Nachfrage ist enorm. Wir campieren wild an einem windgeschützten Teil der Insel. Keine 500 Meter und eine Bucht weiter liegt ein Picknickplatz und die Rangerstation der Insel. Hier kommt fast jede Tour vorbei. Wir zählen 80 Geländewagen, die sich auf dem Picknickplatz tummeln.
Wir selber bekommen davon nur wenig mit, haben zwei ruhige Nächte mit fantastischem Sternenhimmel und tagsüber reichlich Zeit für Wanderungen auf die von Kakteen übersäten Insel und für die obligatorischen Fotos auf dem Salzsee. Da die Touren der Touristen meist morgens oder abends kommen, haben wir die Insel einen Großteil der Zeit für uns alleine.
Als wir die Uyuni in Richtung Süden verlassen passiert das, was wir unbedingt vermeiden wollten. Wir können den richtigen Weg nicht finden. Die Autospuren verlaufen sich auf der Salzkruste und einen Orientierungspunkt haben wir auch nicht mehr. Kurz vor dem Ufer müssen wir mehrfach umdrehen auf der Suche nach einem sicheren Weg und immer in der Angst einzubrechen. Phia ist ganz still und befürchtet schon das Schlimmste. Ronny hingegen ist die Ruhe selbst („Warum sollte ich gestresst sein, Mathi du hast doch alles im Griff!“). Und ich hab leichte Panik, weil ich außer dem Lenkrad gar nichts im Griff habe und hektisch hellblauen Flächen auf dem Salzsee ausweiche, unter denen sich die gefürchteten Hohlräume befinden. Wahrscheinlich haben wir einfach nur Glück, dass wir es unbeschadet aus der Wüste schaffen. Am sicheren Ufer angekommen atmen wir alle erstmal ordentlich durch.
Unser Pajero hat mächtig viel Salz abbekommen, das so schnell wie möglich runter muss. Wie gut, dass es gleich in der nächsten Ortschaft eine Autowäsche gibt. Im angrenzenden Hotel gibt’s dazu noch für uns zubereitetes Essen, W-Lan und warmes Duschwasser. Alles Dinge, auf die wir jetzt verzichten werden für die nächsten Tage. Denn es geht nun ins Altiplano.
Altiplano bedeutet hauptsächlich extrem schlechte Straßen. Hier leiden Mensch und Auto gleichermaßen. Doch das Altiplano bedeutet auch absolut beeindruckende Natur. Lagunen, Geysire, Felsformationen, Vulkane, Flamingos, Vicunas (ähnlich wie Lamas) und Kondore. Wir haben viel erwartet und bekommen noch mehr. Wir finden traumhafte Stellplätze, fahren Offroad durch Steingärten und suchen uns auf Wüstenuntergrund selber den passenden Weg. Abenteuerherz, was willst du mehr?
Das Abenteuerherz mag aber nicht alles. Zum Beispiel, wenn durch die Holperpiste 2 von 4 Halterungen vom Bullenfänger abgebrochen sind und der fast abfällt. Mit ganz viel Glück finden wir in einem kleinen Dorf einen Mechaniker der schweißen kann und für uns seine Siesta unterbricht. Danach kam kein Dorf mehr und auch kein Mechaniker. Wenn man mit diesem Wissen dann hunderte Kilometer Wellblechpiste zurücklegt, die so schlecht ist, dass man nur noch darauf wartet, dass das Auto auseinanderfällt, schmerzt das Abenteuerherz noch mehr. Doch wir sind hier im Altiplano. Da muss man einfach durch.
Der kalte Wüstenwind hat mir eine aufkommende Erkältung eingeblasen. Das ist gar nicht gut, wollen wir doch hier den 6020 Meter hohen Uturunku besteigen. Eine einmalige Gelegenheit einen 6.000er zu erklimmen. Wir planen kurzfristig um und steuern schon früher auf den Uturunku zu. Am Fuße des noch aktiven Vulkans befindet sich ein kleiner Ort, der für uns sogar eine Unterkunft parat hat. Der Wind lässt hier keine Ruhe und wir wollen erholt auf die Expedition starten (Unser Mitreisender Ronny hat wirklich die härtesten Bedingungen mitgenommen. Bei Sturmböen lässt es sich im Auto gut schlafen, im Vorzelt eher weniger…). Dazu brauchen wir einen Guide und ein Fahrzeug, denn der Beginn der Wanderung ist 30 Kilometer entfernt und liegt auf 5500 Meter. Dort unser Auto stehen zu lassen ist bei den kalten Temperaturen und der Höhe keine gute Idee. Dieselmotoren mögen das gar nicht. Doch mit der Hilfe unserer resoluten Hostelmama werden wir fündig. Guide und Auto sind gebucht. Morgen um 6 Uhr ist Start.
Wir haben viel Respekt vor dem Berg, doch unser Guide beruhigt uns. „Ihr sollt die Wanderung genießen und nicht so viel nachdenken. Das wird ein unvergessliches Erlebnis.“ Unser Guide gibt dann gleich auch zu Beginn das Tempo vor – Schneckentempo. Doch auf dieser Höhe muss man so die Wanderung angehen, sonst droht schnell die Höhenkrankheit. Was mir viel mehr zu schaffen macht ist der eisige Wind. Wir starten unsere Wanderungen bei Temperaturen etwas unter dem Gefrierpunkt. Durch den Wind fühlt es sich aber wie -15 Grad an. Meine Finger sind Eiszapfen. Und die aufkommende Erkältung schwächt die Glieder. Doch gemeinsam schaffen wir es! Wir tauschen untereinander Handschuhe aus und motivieren uns gegenseitig. Und nach 3 Stunden Aufstieg stehen wir auf dem Gipfel. Kein Wind mehr, keine Wolke sowieso. Nur ein unglaublicher Ausblick und ein wahnsinniges Glücksgefühl. Wir haben einen 6000er erklommen und fallen uns in die Arme! Unser Guide hisst sogar eine Fahne und wir öffnen ein ganz besonderes Gipfelbier, dass Ronny uns als Überraschung mitgebracht hat, und teilen mit Patchamama.
Meine Erkältung wurde nach diesem Erfolgserlebnis allerdings schlimmer. Auf der Höhe (wir waren ständig über 4.000 Meter) wollte ich am liebsten gar nicht mehr aufstehen. Eigentlich hatten wir noch 2 Tage Altiplano geplant, doch die Gesundheit geht vor. Noch einmal genießen wir die traumhafte Landschaft, bewundern Flamingos und Vicunas, bestaunen Geysirfelder und verfluchen die schlechten Straßen. Dieser Reiseabschnitt wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Jetzt aber runter von der Höhe und auf nach Chile.
Unsere Reiseroute
Route stimmt nur bedingt. Da viel Offroad war, kennt Google Maps die Strecke nicht…
Schreibe den ersten Kommentar