Das Schicksal Pakistans

Nun ging es zielstrebig zum Karakorum Highway. Allerdings mit etwas magengrummeln. In Ayubia hatten nach unseren Ausflug zur Kirche plötzlich alle Restaurants im Dorf geschlossen. Nur eine mäßige Kantine servierte uns fettiges Hühnchen, das wir beide nicht so gut vertragen hatten. Oft wenn ich in fremde Bergregionen unterwegs war, ist mir aufgefallen, dass die hiesige Bevölkerung mich als Neuankömmling recht kritisch betrachtet hat und es eine Weile gedauert hatte bis das Eis gebrochen war. Nicht so in Pakistan. Vom ersten Bergdorf lachten uns die Einwohner zu, winkten und versuchten mit uns zu sprechen. Es fühlte sich so an, als hätten alle auf uns gewartet. Spätestens jetzt war von Angst keine Spur mehr. Wir fühlten uns schon nach zwei Tagen in Pakistan einfach mal richtig wohl.

Stets lachende und freundliche Gesichter am Wegesrand
Menschentransport
Viehtransport

Nach einer Weile stießen wir auf den Indus. Die dreckig braune Brühe zwängte sich durch ein enges Tal. Nach der ersten Brücke über den reißenden Strom kam dann der erste Polizeicheckpoint. Uns wurde eine Polizeieskorte angeboten. Seit dem tragischen Vorfall 2013 am Nanga Parbat hatten sich landesweit die Sicherheitsvorkehrungen drastisch verschärft. Vor allem Touristen wurden besonders geschützt, oft auch etwas zu sehr. Unter allen Umständen sollte vermieden werden, dass Ausländer in irgendeiner Weise zu Schaden kommen und durch die Kraft der Medien dies Pakistan noch mehr trifft. Wir lehnten die Polizeieskorte ab. Der Norden Pakistan wird selbst durch das Auswärtige Amt als sicher eingeschätzt und viele Individualreisende beklagten die Polizeieskorte sei eher ein mühsamer Anhang. Eigentlich wollten wir uns ein Platz zum campen suchen, doch immer wieder tauchte ein Polizeiwagen auf und die Officer beschrieben die Gegend als unsicher, wir sollten doch weiterfahren. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit wollten wir es nochmal wissen. Wir bogen in eine Nebenstraße ein, doch wieder wurden wir beobachtet. Ich erklärte den Beamten, dass wir gerne im Auto übernachten wollten. Kein Problem, aber nur nicht hier in der Gegend und wenn auf dem Vorplatz vor dem Polizeirevier. Etwas übermüdet willigten wir ein. Der Platz vor dem Polizeirevier war dann im Polizeirevier. Auf dem Hof stellten wir das Auto ab. „Ab nun an seid ihr frei“ sagte uns der Polizeichef. Gut, etwas die Beine vertreten würde uns gut tun. Also ab ins Dorf ein paar Kleinigkeiten besorgen. Als wir das Tor öffneten pfiff uns der Polizeichef zurück. „Nein nein! Ihr müsst hier bleiben. Draußen ist es unsicher!“ Eine interessante Definition von Freiheit. Später fanden wir heraus, dass es in dieser Region, einen ca. 100 KM langen Abschnitt auf dem Karakorum Highway, ab und zu Raubüberfälle gegeben hatte. So war es doch gut, dass wir im Polizeirevier nächtigen konnten, wenn auch ein Spaziergang ins Dorf absolut problemlos gewesen wäre. Später kamen noch sieben Männer aus dem Dorf, um uns zu sehen. Ein Polizist hatte in der Moschee von dem Besuch erzählt und die Männer wollten sich gern mit mir unterhalten. „Wir wollten euch gerne ein Gastgeschenk mitbringen, doch leider hatte der Markt schon geschlossen. Also haben wir euch Bananen mitgebracht, ich hoffe die können euch auf der anstrengenden Reise nützen.“ Sie wussten bestimmt nicht, dass es früher in Ostdeutschland nur schwer Bananen gab. Es war eine unglaublich freundliche Geste. Ich stellte mir vor, wie wir wohl in Deutschland zwei Pakistaner auf Reisen in einem kleinen Dorf begrüßen würden. Hier in einem Land, das so viele fürchten, stellte ich fest, dass wir einiges von diesen Menschen lernen können…

Bis Gilgit-Baltistan oft hinter uns: Die Polizeieskorte
Im Dorf hatte es sich herumgesprochen, dass zwei Ausländer im Polizeirevier übernachten. Diese Dorfbewohner wollten daher gern sich mit uns unterhalten (und lobten meinen Bart)

Der Landesteil Pakistans, den wir gerade durchquerten war Kohistan. Diese Gegend wurde ethnologisch wenig erforscht. Viele Volksgruppen leben hier, einige tief zurückgezogen in den Bergen. Uns viel sofort auf, dass ausschließlich Männer auf den Straßen unterwegs waren. Ich konfrontierte das Besuchskomitee auf dem Polizeirevier mit dieser Beobachtung. „Also das ist so. Du musst wissen, dass in unserer Kultur der Mann alle wichtigen Aufgaben übernimmt, somit auch alle Aufgaben in der Gesellschaft. Handel, Politik, Abstimmungen und Konflikte. Das sind Aufgaben des Mannes, der selber sich auch um seine Frau und Familie kümmern muss. Die Frauen sind von diesen Aufgaben befreit, also müssen sie auch nicht auf die Straße. Das hat nichts mit unserer Religion zu tun, was viele denken. Der Islam ist die eine Sache, die Kultur die andere.“ Auch wenn ich mit dieser Gesellschaftsordnung nicht einverstanden war, so war ich überrascht von der hervorgehobenen Trennung von Religion und kulturellen Eigenheiten. Auch das wird bei uns viel zu oft vermischt.

Ein Armee-Bus
Riskante Überholmanöver
Frühstück mit Ausblick

Am nächsten Tag bekamen wir dann ab einem Checkpoint einen bewaffneten Polizisten ins Auto gesetzt. Unserer Sicherheitsbeauftragte saß auf dem Beifahrersitz, die Kalaschnikow zwischen den Beinen und der Lauf schwenkte manchmal zu sehr in meine Richtung. Nach dem nächsten Checkpoint stieg er aus. „Wartet hier kurz, ich hol den Kollegen, der den nächsten Abschnitt mit euch mitkommt.“ Als er gerade um die Ecke gebogen ist meinte Tina „fahr los!“. Langsam rollte ich nach vorn und dann stetig weiter. Keine Reaktion. Schnell weg. Denn die unsichere Gegend war vorbei und heute wollten wir mit Blick zum Nanga Parbat campen. Die Polizei hätte da bestimmt etwas dagegen gehabt. Nach einer Weile trafen wir dann auch Anna und Heiner aus Deutschland auf dem Weg. Sie hatten bereits eine gute Stelle ausgekundschaftet. Und da ich bisher alle 8000er Berge auf dem Weg wolkenfrei gesehen hatte, brach nach unserer Ankunft am Stellplatz die dichte Wolkendecke auf und der neunt-höchste Berg der Welt lag wolkenfrei im Sonnenuntergangslicht vor uns.

Verkehr auf dem Karakorum Highway (KKH)
Die freundlichsten LKW-Fahrer der Welt kommen aus Pakistan
Camping mit besten Panorama
Der Nanga Parbat
Ein Ziegenhirte vor dem Nanga Parbat

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Reiseliteratur

Mathias Verfasst von:

4 Kommentare

  1. Gayatri
    17. Juli 2017
    Antworten

    Lieber Mathias,
    Dank für Deinen Mut, diese Länder zu bereisen!
    In Indien bin ich Motorrad gefahren. Nachdem ich mich an das Chaos gewöhnt hatte, fand ich´s lustig. Aber ohne Mantra geht natürlich nichts…

    Ich suche noch Reisepartner, will mit meinem VW Polo Kombi Richtung Indien.
    Darf ich hier Irene einladen?

    Hey Irene, wahrscheinlich brauchen wir noch einen Mann, um in Pakistan klarzukommen!
    Mitte Oktober bin ich mit meinen Terminen hier durch…

    Türkei, Iran und Pakistan werdn neu für mich sein, ich bin dankbar für jede hilfreiche Info:
    gayatri@gmx.de

    • 7. September 2017
      Antworten

      Hallo,

      steht die Reiseplanung denn nun schon? 😮 Mein Partner und ich planen auch über den Landweg nach Südostasien (vorerst wahrscheinlich aber Indien) zu reisen.

      Liebste Grüße Lu ♥

  2. Irene
    18. Juni 2017
    Antworten

    Was für ein unglaublich schöner und eindrucksvoller Trip und fantastische Bilder & Videos. Lässt mein Herz höher schlagen und mein Wunsch, nach Pakistan zu reisen, wird immer dringender. Hab das schon lange im Hinterkopf, aber da Mitreisende zu finden, die sich trauen, war bisher unmöglich.
    Danke dir für deinen wunderschönen Bericht!

  3. 9. Mai 2017
    Antworten

    Oh man, Pakistan! Tolles Land, schreckliches Image.
    Deine Bilder sind großartig. Wenn wir das nächste Mal in Pakistan sind, dann vielleicht auch mit dem eigenen Auto und nicht nur mit den Autos der anderen 😀
    Die lästige Polizeieskorte hat sich bis dahin hoffentlich erledigt.

    Bezüglich der Madrasas lohnt es sich auch den Zusammenhang zwischen der Radikalisierung pakistanischer Schüler und der „Hilfsorganisation“ USAID zu hinterfragen. Spannend ist das allemal und mit dem Kopf schütteln kann man auch.

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